- Regenwald: Beispiel für eine großräumige Waldzerstörung
- Regenwald: Beispiel für eine großräumige WaldzerstörungEs gibt viele Parallelen zwischen der Nutzung des tropischen Regenwalds durch die Entwicklungsländer, die besonders in diesem Jahrhundert intensiv betrieben wird, und der Nutzung der europäischen Wälder durch uns in den letzten 2000 Jahren. In beiden Fällen geht es um großräumige Zerstörungen, die durch Rohstoffentnahme (Holz, Bodenschätze) oder landwirtschaftliche Nutzung motiviert sind und überregionale Auswirkungen haben. Aufgrund eines besseren Verständnisses auch globaler Zusammenhänge (und vielleicht auch angesichts der eigenen eher unrühmlichen Geschichte) verfolgen und diskutieren wir daher heute die Handlungsweise der Dritten Welt nicht nur intensiv, sondern manchmal auch mit einem gewissen Verständnis.Zweifellos gab es auch schon vor der Entdeckung der Tropen durch die Kolonialmächte Phasen einer intensiven Landnutzung durch die ansässige Bevölkerung. Mit dem Eintreffen millionenstarker Auswandererströme aus Europa in der Neuen Welt und mit der Binnenwanderung von Bevölkerungsteilen in einzelnen Entwicklungsstaaten, durch die lokal sehr hohe Bevölkerungsdichten auf Kosten der kaum bewohnten Regenwälder abgebaut werden sollten, vervielfachte sich jedoch der Nutzungsdruck auf die Tropenwälder. Die hinter allem stehende Ursache ist also letztlich die weltweite Zunahme der Bevölkerung.Landwirtschaft und HolzeinschlagNach heutiger Einschätzung sind weltweit 85 bis 95 Prozent der Regenwaldzerstörung durch die Landwirtschaft bedingt. Bei der landwirtschaftlichen Nutzung der Regenwaldgebiete wurde jedoch — anfangs unwissentlich — übersehen, dass auf rund 80 Prozent der Tropenböden wegen ihrer extremen Nährstoffknappheit keine Landwirtschaft im üblichen, europäischen Sinn möglich ist. Zudem verursachen die um ein Mehrfaches höheren tropischen Niederschläge eine Bodenerosion und verhindern dadurch eine klassische Nährstoffzufuhr durch Düngung. Als Folge muss der Ackerbau vielerorts nach wenigen Jahren wegen mangelnden Ertrags aufgegeben werden. Diese Flächen werden anschließend entweder für weitere Jahre als extensive Rinderweiden genutzt oder sich selbst überlassen. Es kann sicherlich davon ausgegangen werden, dass sich nach genügend langen Zeiträumen wieder eine dem ursprünglichen Primärwald ähnliche Vegetation einstellen wird. Ob hierzu aber 200 Jahre genügen oder eher 1000 Jahre benötigt werden, ist heute weitgehend unbekannt. Die derzeit kurzfristig orientierten Versuche, den tropischen Regenwald landwirtschaftlich zu nutzen, haben also den Charakter von Raubbau und enden vorerst fast überall mit seiner Zerstörung.Unselektiver Holzeinschlag hat bereits große Flächen zerstörtUnselektiver Holzeinschlag, also das unterschiedslose Fällen aller vorhandenen Baumarten, diente ursprünglich der Energieversorgung. In einzelnen Regionen hat bei hoher Bevölkerungsdichte somit auch die Brennholzversorgung der einheimischen Bevölkerung wesentlich zur Abholzung beigetragen. Vereinzelt wurden auch lokale Industrien, in Brasilien sogar großindustrielle Verhüttungsanlagen, mit Holzkohle versorgt, sodass im Sinn einer gesicherten Energieversorgung Aufforstungen unumgänglich wurden. Bei derzeitigen Rodungen, besonders im pazifischen Raum, werden alle Baumarten entnommen und vor Ort zu Holzchips zerkleinert. Aus diesen werden dann Papier oder Holzfaserplatten hergestellt. Es handelt sich also um eine materielle Nutzung mit besonders geringer Wertschöpfung. Die nach solchen Rodungen zurückbleibenden Kahlschläge werden in der Regel nicht aufgeforstet und die nächsten Regen spülen den Oberboden ab.In vielen Staaten der Tropen ist es bereits zu irreversiblen Zerstörungen der ehemaligen Waldgebiete gekommen. Die Elfenbeinküste hat fast ihren gesamten Wald verloren. Haiti und Äthiopien haben derzeit weniger als drei Prozent Waldanteil, obwohl sie ehemals großflächig bewaldet waren. Die im Süden Brasiliens früher weit verbreiteten Araukarienwälder sind durch rücksichtslose Nutzung völlig zerstört worden, sodass heute kein nennenswerter Export mehr möglich ist.Eine der ursprünglichen Nutzungen der Regenwälder war das selektive Fällen der sprichwörtlich »edlen« Tropenhölzer. Das ganze Land Brasilien wurde sogar nach dem begehrten Brasilbaum benannt. Übermäßige Nachfrage hat jedoch viele der einst häufigen Baumarten fast ganz verschwinden lassen. So gehören der Brasilbaum, das Bahia-Rosenholz, der Palisander und der Brasil-Mahagoni heute zu den sehr seltenen Arten. An sich wäre eine solch selektive Waldnutzung nicht negativ, da jedoch Aufforstungen fast überall unterbleiben und der beim Roden angerichtete Schaden immer deutlich größer ist als die Menge des entnommenen Holzes, kommt es zu gewaltigen Zerstörungen. Wegen der besonderen Struktur tropischer Wälder, insbesondere wegen der relativen Seltenheit der gesuchten Bäume von nur wenigen Individuen pro Hektar, muss ein umfangreiches Erschließungssystem aus Schneisen aufgebaut werden. Durch diese Schneisen und wegen der vielen durch Lianen verbundenen Bäume, die beim Fällen eines Baums ebenfalls umstürzen, ist der trotz selektiven Bäumefällens angerichtete Schaden um ein Vielfaches größer. Das beispielsweise von Deutschland importierte Tropenholz macht zwar in der Menge nur sechs Prozent des im eigenen Land geschlagenen Holzes aus; berücksichtigt man jedoch das in den Tropen zusätzlich zerstörte beziehungsweise nicht genutzte Holz, so entspricht dies etwa der Hälfte des in Deutschland produzierten Holzes.Mit Abstand der größte Importeur von Tropenholz ist Japan; es führt fast die Hälfte des weltweit gehandelten Tropenholzes ein. In den 1970er-Jahren importierte Japan vor allem indonesisches Holz, bis Indonesien 1985 einen Exportstopp für unverarbeitetes Holz verhängte, um eine eigene Holzindustrie aufzubauen. In den 1980er-Jahren lieferten Sarawak und Malaysia (Sabah) 96 Prozent des nach Japan importierten Holzes, in den 1990er-Jahren wird Papua-Neuguinea ausgeplündert. Japan verarbeitet das Tropenholz bemerkenswert hemmungslos zu Wegwerfprodukten wie Einweg-Essstäbchen oder Sperrholzverschalungen aus Meranti-Holz, die von der Bauwirtschaft meist nur einmal verwendet werden. Auch wegen des im Vergleich zu Europa doppelt so hohen Papierverbrauchs benötigt die japanische Papierindustrie gewaltige Rohstoffmengen.Eine traurige BilanzDie größten Tropenholzproduzenten waren Ende der 1980er-Jahre Malaysia, Indonesien und Brasilien mit zusammen über 50 Prozent des produzierten Tropenholzes. Im Jahr 2000 wird Nigeria keinen Regenwald mehr haben, die Philippinen nur noch in den von Rebellen beherrschten Gebieten. Die Primärwälder von Indien, Bangladesh und Sri Lanka sind bereits weitgehend vernichtet. Thailand und die Philippinen, die in den 1960er-Jahren aufgrund japanischer Bedürfnisse nahezu entwaldet wurden, haben nur noch Reste des ehemaligen Walds. Thailand hat 1989 jeglichen Holzeinschlag verboten und über 300 Konzessionen zurückgezogen. Auslösend waren sintflutartige Regenfälle, die im Süden des Lands entwaldete Berghänge wegspülten und Hunderte von Menschen umkommen ließen. Innerhalb von nur vier Jahren war damals der Waldanteil Thailands von 29 auf 19 Prozent zurückgegangen. Seitdem muss das Land nun selbst Tropenholz aus den Nachbarländern einführen. Von den 33 wichtigsten Exportländern von Tropenholz dürften im Jahr 2000 vermutlich nur noch zehn Staaten Tropenholz exportieren können.Nachhaltige Tropenwaldnutzung bringt höhere ErträgeAngemessene Nutzung des Regenwalds ist möglich und erbringt bei vergleichsweise geringem Eingriff höhere Erträge als bei einer klassischen Landwirtschaft. Die kontrollierte Anlage eines Wegenetzes, das Fernhalten zusätzlicher Siedler und gezieltes Anpflanzen einzelner Nutzpflanzen ermöglichen eine kombinierte Nutzung des Walds durch Forst- und Landwirtschaft (»agro-forestry«). Hierbei werden beispielsweise bestimmte Medizinalpflanzen, Früchte, Samen, Fasern, Harze, Öle oder Gummi gesammelt. Da gleichzeitig darauf geachtet wird, diese Pflanzen zu schonen oder sogar zu fördern, können auf diese Weise auch komplexe Ökosysteme wie der tropische Regenwald ohne dauerhafte Schädigung bewirtschaftet werden. Der Gewinn durch solch differenzierte und standortgerechte Nutzungsmöglichkeiten ist fast immer größer als der durch den Anbau nicht standortgerechter Monokulturen.Auf nur einem kleinen Teil der gerodeten Flächen erfolgen Aufforstungen. Während die durchschnittliche Abholzungsrate vieler Tropenländer zwei bis drei Prozent jährlich beträgt, steht dem eine durchschnittliche Aufforstungsrate von nur rund 0,1 Prozent der Waldfläche gegenüber. Standortgerechte Anpflanzungen mit einer größeren Zahl der ehemals vorkommenden Baumarten gibt es — zumindest in nennenswertem Umfang — vermutlich nirgends. In der Praxis werden vielmehr vor allem in Asien und Lateinamerika monokulturartige Plantagen angelegt. Sie dienen beispielsweise der Gewinnung von Kautschuk und Ölprodukten aus einheimischen Baumarten, in Einzelfällen auch der Edelholzgewinnung. In diesem Zusammenhang sind Plantagen mit Teakbäumen vorbildlich, die seit 1887 auf Java angelegt werden und heute zwei Millionen Hektar umfassen. Nach 60 bis 80 Jahren werden die dann 40 m hohen Bäume gefällt, daher sind diese Plantagen in 60 bis 80 Parzellen unterteilt, von denen jeweils eine jährlich geschlagen und wieder aufgeforstet wird.Ähnlich positiv kann sich auch der Aufbau der Rattanindustrie in Indonesien auswirken. Rattan ist eine rankende Palme, die zur Herstellung von Korbwaren verwendet wird. Da Rattan nicht als Monokultur angebaut werden kann, hat man begonnen, die Pflanzen in intakten Wäldern anzupflanzen. Anbau und Ernte hinterlassen keine nennenswerten Schäden und können daher Teile des Walds vor der Zerstörung bewahren.Meistens aber werden schnellwüchsige, standortfremde Baumarten wie Eukalyptus und Kiefer in Monokulturen angepflanzt, die nach zehn bis fünfzehn Jahren als Bau- oder Brennholz beziehungsweise zur Papierherstellung geschlagen werden können. In Brasilien kam es, gefördert durch steuerliche Anreize, ab 1966 zu solch großflächigen Anpflanzungen von Kiefer und Eukalyptus. In Verbindung mit modernen Klonierungstechniken konnten sogar bereits Eukalyptusbäume gezüchtet werden, die schon nach sieben Jahren hiebreif sind und eine gleich bleibende Holzqualität liefern, sodass Brasilien in den 1980er-Jahren zum weltführenden Exporteur von kurzfaserigem Zellstoff wurde. Vielleicht ist es ja möglich, durch solche Plantagenwälder den Nutzungsdruck auf die verbleibenden naturnahen Wälder zu mindern, zumal wegen der Zusammensetzung aus vielen verschiedenen Baumarten Regenwaldholz nie die Papierqualität ergeben kann wie Plantagenholz. Diese standortfremden Monokulturen sind aber selbstverständlich kein Ersatz für den zuvor vernichteten Regenwald.Tagebau von Bodenschätzen gefährdet Wälder und FlüsseViele Standorte im tropischen Regenwald sind reich an Bodenschätzen. Oftmals ist eine Eisenerz- oder Kupfererzgewinnung sogar im Tagebau möglich, technisch also bedeutend einfacher als in klassischen Untertage-Bergwerken. Für den Regenwald bedeutet solch eine Förderung von Bodenschätzen jedoch meist eine unkontrollierbare Gefahr mit katastrophenartigen Risiken. Oftmals muss der Wald großflächig gerodet werden, und erst nach umfangreichen Erdbewegungen wird das erzreiche Gestein erreicht. Erosionsprobleme und Verschlammung sind daher meistens vorprogrammiert. Häufig werden die geförder- ten Erze zerkleinert und gereinigt, was meist mit einem großen Wasserverbrauch verbunden ist. Reste der Metalle sammeln sich auch in diesem Waschwasser an. Bei der anschließenden Einleitung in die Flüsse kann sich auf diese Weise — vor allem wenn das geförderte Erz höhere Anteile von Schwermetallen aufweist — sogar eine toxikologisch bedenkliche Belastung eines weiten Gebiets ergeben.Die Goldgewinnung ist ein Beispiel für eine der rücksichtslosesten Schwermetall- oder Giftbelastungen der Umwelt. In Brasilien benutzen schätzungsweise eine halbe Million Goldsucher das äußerst giftige Quecksilber, um geringste Mengen Gold aus dem Gestein zu lösen. Hierzu wird goldhaltiger Sand mit Quecksilber vermischt, welches das Gold bindet, und überschüssiges Quecksilber wird mit viel Waschwasser weggespült. Wenn dann das Quecksilber aus dem Gold über offenen Feuern abgedampft wird, bleibt elementares Gold übrig. Hierbei werden Mensch und Natur gleich mehrfach belastet: Die Goldsucher bearbeiten das Quecksilber mit den bloßen Händen und atmen beim Verdampfen große Mengen ein. In der Umwelt gelangt das Quecksilber in das Sediment der Gewässer, aus dem es noch über Jahrzehnte die Flüsse belastet. Aus dem Wasser wird es durch viele Organismen aufgenommen und in der Nahrungskette angereichert. Durch die Nahrung, vor allem über Fische, gelangt das Gift dann wieder in den menschlichen Körper. Dort wirkt es als Nervengift, verursacht aber auch Erbschäden und Missbildungen. Die Zahl der Vergiftungserscheinungen beim Menschen steigt ständig. Über die Auswirkungen auf die belasteten Ökosysteme ist noch wenig bekannt, doch sind vor allem in der Nahrungskette hoch stehende Arten beispielsweise durch Fortpflanzungsstörungen betroffen, die bis zum Aussterben der Art führen können.In Guayana wird zur Goldgewinnung Cyanid eingesetzt (Cyanidlaugung). Als 1995 in einem Goldbergwerk ein Damm brach, flossen über eine Million Kubikmeter stark cyanidbelasteter Abwässer in den größten Fluss des Landes, in dem über weite Strecken alles Leben erlosch. Da dieses sehr starke Gift auch in sehr kleinen, nicht direkt tödlichen Mengen zu dauernden Nervenschädigungen und Hirnschäden führt, ist nebst einer gewaltigen Vergiftung der Umwelt auch mit bleibenden Schäden bei der Bevölkerung zu rechnen.Tropenwaldverluste durch gigantische StauseenEine besondere Gefahr droht größeren Waldgebieten in den Tropen seit kurzem durch eine intensivere Nutzung der Wasserkraft. So sinnvoll die Nutzung der Wasserkraft als erneuerbarer Energie ist, so kritisch müssen im konkreten Fall die Begleitumstände betrachtet werden. Vor allem im tropischen Tiefland ist das Gefälle der zahlreichen Flüsse oft sehr gering. Daher müssen riesige Flächen aufgestaut werden, um den erforderlichen Wasserdruck zu erzeugen. In Amazonien beträgt der Niveauunterschied über weite Strecken auf 100 km nur drei bis vier Meter. So mussten für den Tucurui-Staudamm, der 1991 fertig gestellt wurde, 2500 Quadratkilometer Primärwald geflutet werden. Dies entspricht der Fläche des Saarlands und ist rund 50 Prozent mehr, als für Itaipú gerodet werden musste, das größte Kraftwerk der Welt am Grenzfluss Paraná zwischen Paraguay und Brasilien. Da die Wälder für die Flutung meist nicht gerodet werden und das Holz nicht beseitigt wird, entstehen unter den tropischen Bedingungen riesige, lebensfeindliche Faulseen, die auf Jahre die Umwelt belasten. Nachdem drei solcher tropischen Stauseen verwirklicht wurden, hat Brasilien vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen sein Staudammprogramm für Amazonien gestoppt. In anderen Entwicklungsländern werden gigantische Stauseen aber nach wie vor als sinnvoll betrachtet und gewaltige Flächenverluste akzeptiert.Prof. Dr. Wolfgang NentwigGrundlegende Informationen finden Sie unter:Wald: Der Niedergang der mitteleuropäischen WälderDas Regenwaldbuch, herausgegeben von Carsten Niemitz. Berlin u. a. 1991.
Universal-Lexikon. 2012.